Schnorcheln auf der Wand
Vor 250 Millionen Jahren wäre es möglich gewesen

Vor 250 Mio. Jahren – die Geologen nennen jene Zeit Trias – ist unsere Region von einem flachen Meer, der Tethys, bedeckt. Nun ereignet sich Entscheidendes: Im gut durchlichteten, vom tropischen Klima angenehm aufgewärmten und sauerstoffreichen Wasser gedeihen Wirtelalgen in Massen. Sterben sie ab, bauen ihre röhrenförmigen, aus Kalziumkarbonat bestehenden Slekette wahre Gebirge auf; im Wettersteinkalk des Schneebergs sind die Überreste gut erhalten.

Allmählich entstand so die Hohe Wand aus Lagunen- und Riffkalken, etwa im Raum des heutigen Kärnten

Zu den Wirtelalgen gesellen sich Schwämme, Schnecken, Muscheln und vor allem Korallen. Im Laufe von 39 Mio. Jahren setzen diese Lebensgemeinschaften ungeheure Mengen an Kalk und Dolomit ab, Riffgebirge wachsen vom Grund des Schelfs zur Wasseroberfläche empor, ein Vorgang, der heute in den flachen Meerern entlang des Äquators beobachtet werden kann; so am Großen Barriereriff vor der Ostküste Australiens oder bei den Bahamas östlich von Florida. Unter gleichen Bedingungen entstehen vor 250 bis 220 Mio. Jahren die Rifffelsen der Hohen Wand. Allerdings weiter im Süden, auf der Höhe der jetzigen Südlichen Kalkalpen.

An die heutige Stelle gleitet das Riff vor 205 bis 145 Mio. Jahren durch die Auffaltung der Alpen. Sie werden aus dem Untergrund emporgepresst und die ihnen aufliegenden, mächtigen, im Tethysmeer entstandenen Sedimentpakete gleiten mit dem Riff der späteren Hohen Wand nordwärts. Zerbrochen, gestaucht und verformt gestalten diese Schichten aus Sanden, Tonen, Kalken und Dolomiten die heutige Landschaft der Region. Der Prozess findet vor 50 Mio. Jahren seinen Abschluss. Heute ist es fast unvorstellbar, daß man vor rund 250 Mio. Jahren auf der Wand statt in luftigen Höhen parazugleiten, in tiefblauen Fluten schnorcheln, tauchen und eine bizarre Korallenwelt bestaunen hätte können.

Luftbild der Hohen Wand mit ihrem Steilabfall zur Neuen Welt (Foto: Franz Zwickl)